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Э. С. Мугуревич.   Восточная Латвия и соседние земли в X-XIII вв.

Ё. Mugurevičs. Ostlettland und seine Nachbarländer im 10. bis 13. Jahrhundert. Zusammenfassung

Ostlettland bildet sowohl hinsichtlich seines Territoriums als auch seiner Verkehrswege eine gewisse Einheit, die sich in ihren Grundzügen in den Bereich der Flussbecken des Mittel- und Niederlaufs der Daugava und der ganzen Gauja einfügt. Im frühen Mittelalter durchkreuzten dieses Gebiet fast alle wichtigsten Handelswege des Ostbaltikums. Einer besonders eingehenden Betrachtung sind in diesem Buch die Handels- und Kulturbeziehungen unterworfen, wobei als wichtigstes Problem die Beziehungen Ostlettlands mit den russischen Landen hervorgehoben werden. Die Beziehungen der in Ostlettland lebenden Völkerschaften zu ihren russischen Nachbarn waren während der behandelten Periode sehr fest und hinterHessen tiefe Spuren sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Leben der Bevölkerung. Die bourgeoisen Historiker, von verschiedenen politischen Erwägungen geleitet, verfälschten gerade dieses Problem in besonders grossem Mass, und noch heute behandelt die bourgeoise Historiographie im Ausland, von den lettischen reaktionären Emigranten ganz abgesehen, die hier untersuchten Fragen vom normannistischen Standpunkt aus und ist bemüht, die Bedeutung der Beziehungen mit den Ostslawen in jeder Hinsicht herabzusetzen.

Da es nur sehr wenige zeitgenössische schriftliche Quellen über die ostlettischen Völkerschaften im 10.—13. Jh. gibt und dieselben die Handels- und Kulturbeziehungen sehr mangelhaft charakterisieren, so ist der Forscher hauptsächlich auf numismatisches und archäologisches Material angewiesen, aus welchem nicht nur reichhaltiger Aufschluss über die Einreihung Ostlettlands in den Aussenhandel der damaligen Epoche gewonnen werden kann, sondern das auch wertvolle Hinweise auf die bedeutendsten Handelszentren und die wichtigsten Richtungen der Handelsbeziehungen enthält.

Was das archäologische Material anlangt, so wird besondere Aufmerksamkeit den aus dem 10.—13. Jh. stammenden Einfuhrwaren Lettlands und ihren

Fundstätten gewidmet. Bei der Topographierung der Einfuhr ist die vorwiegende Konzentration der Einfuhrgegenstände gebührend berücksichtigt. Auf diese Weise können nicht nur die bedeutendsten Handelszentren bestimmt werden, sondern auch annähernd die Wege verfolgt werden, auf denen die Waren ins Land gelangten. Um diese Wege genauer verfolgen zu können, wird auch die Lage der archäologischen Denkmäler — der Burgberge und Grabstätten — in Betracht gezogen.

Unter den schriftlichen Quellen wurden die Chronik Heinrichs des Letten, die Älteste Reimchronik und die Landzerteilungs- und Tauschurkunden weitgehend benutzt. In retrospektiver Hinsicht wurden mehrere Chroniken aus dem 14.—16. Jh. und alte Karten Lettlands (aus dem 17. und 18. Jh.) verwertet, in denen man zum ersten Mal die Richtungen der wichtigsten Handelsstrassen eingezeichnet findet.

Ostlettland wurde von mehreren Völkerschaften bewohnt — den Latgallen, Liven und Selen, — bei denen staatsartige Gebilde — Landschaften (terra) — erwähnt werden. Bei der Feststellung der Grenzen dieser Landschaften wurden mit grosser Sorgfalt die schriftlichen Quellen erforscht, um die in ihnen erwähnten Dörfer und Burgen zu identifizieren, was als eine unumgängliche Vorarbeit für die richtige Absteckung der alten Verkehrswege zu betrachten ist.

In ihrer politischen Entwicklung — in bedeutendem Masse infolge des russischen Einflusses — waren einzelne Landschaftsgebiete der Latgallen und Selen weiter vorgeschritten; sie hatten sich in staatsartigen Gebilden einer höheren Stufe — den Fürstentümern — vereinigt. Zum Bestand des Fürstentums (regnum) Jersika gehörten die Burgen Autine (Burgberg Särumkalns), Cesvaine, Asote, Lepene (am Rēzna-See), Bebernine (in der Umgegend von Bebrene), Alene (Burgberg Oliņkalns), Gerdene (am Rušonu-See), Negeste (auf einem Burgberg bei Viesiena) und Mārciena mit den dazugehörigen Ländereien nicht nur im Daugava-, sondern auch im [123] Gaujabecken. Westlich von Jersika befand sich das Fürstentum (regnum) Koknese, welches gleich Jersika in Abhängigkeit vom Polozker Fürsten stand. Eins der grössten staatsartigen Gebilde im von Latgallen besiedelten Gebiet war Tälava (mit der Burg Beverina bei Trikäta als Zentrum), dass das am Oberende des Gaujabeckens gelegene von Latgallen bewohnte Territorium umfasste. Die latgaller Landschaft Atzele dagegen lag im Gebiet zwischen Tälava im Westen und dem russischen Fürstentum Pleskau im Osten.

Die schriftlichen Quellen unterscheiden vier grössere von den Liven besiedelte Gaue: Daugava, Turaida, Metsepole und Idumea. Zum Unterschied von den von den Latgallen bewohnten Gebieten gab es in den Landschaften der Liven noch keine staatliche Gebilde vom Fürstentumtyp.

In einem besonderen Abschnitt der Abhandlung werden die wichtigsten Richtungen der Handels- und Kulturbeziehungen der Liven, Latgallen und Selen betrachtet. Dabei werden grössere und bisher wenig erforschte Gruppen numismatischen und anderen eingeführten archäologischen Materials, die einen aufschlussreichen Einblick in diese Fragen gewähren, und auch einzelne archäologische Gegenstände untersucht.

Wie eine die Zeitspanne bis zum 9. Jh. umfassende Betrachtung der eingeführten Rohstoffe und Fertigwaren zeigt, zeichneten sich die wichtigsten Richtungen der Tauschhandelsbeziehungen innerhalb der Grenzen der heutigen Lettischen SSR bereits schon im 1. Jahrtausend v. u. Z. und in den ersten Jahrhunderten u. Z. ab.

Ein grosser Teil der gefundenen Münzen (etwa 1800) sind arabische Dirhems, hauptsächlich aus 8 Schatzfunden (Abb. 1). Aus der Topographie der Funde frühen arabischen Dirhems (im westlichen Teil des Territoriums Lettlands oder in unweit des Meeres gelegenen Gegenden) erweisst es sich, dass diese Münzen auf dem Seeweg ins Land gelangt sind. In Funden, die zum Beginn des 10. Jh. gehören, werden arabische Dirhems zahlreicher, wobei es leicht festzustellen ist, dass dieselben zum Teil auch auf dem Flussweg der Daugava eingeführt sind. Etwa in den 80. Jahren des 10. Jh. scheint eine Krise im Einströmen der arabischen Dirhems eingetreten zu sein, und sie erreichten den westlichen Teil Lettlands nicht mehr.

Auf dem Territorium Lettlands sind etwa 1650 westeuropäische Münzen aus dem 10.—12. Jh. gefunden worden, deren grössten Teil aus 12 Schatzfunden (Abb. 2) stammende Münzen bilden. Die ältesten westeuropäischen Münzen sind zu Beginn des 11. Jh. zusammen mit arabischen Dirhems aus nördlicher oder nordöstlicher Richtung in Lettland eingeführt worden, später dagegen gelangten westeuropäische Münzen auf dem Seeweg und weiterhin auf dem Flussweg (Daugava, Gauja u. a.) ins Land.

Der grösste Teil des Silbers ist jedoch nach Lettland in Form von Barren gelangt. Zur Zeit sind aus Funden Lettlands mehr als 200 Stück gehämmerte und gegossene Barren aus Silber bekannt (Abb. 2). Solche Barren sind auf einem ausgedehnten Territorium im Osten und Norden Europas anzutreffen. Wie die schriftlichen Quellen künden, spielten in der Silberlieferung die westeuropäischen Länder eine bedeutende Rolle. Wenn man die weite Verbreitung gegossener Silberbarren südlich Lettlands in Betracht zieht, so darf gefolgert werden, dass ein Teil derselben aus südlicher Richtung durch Litauen eingeführt wurde. Im 11. Jh. im Zusammenhang mit dem gesteigerten Vorkommen von westeuropäischen Münzen und Silberbarren könnte schon der Silberumlauf ohne Geldwagen und Gewichte nicht vor sich gehen. In den Burgbergen und Grabstätten Lettlands sind 93 Fragmente von Geldwagen und 159 Gewichte (Abb. 3) gefunden worden. Ihrer Form nach gleichen diese Geldwagen den in den Nachbarländern gefundenen, doch zeugen die Ausmasse einzelner Teile, die Formgebung und Ornamentierung davon, dass die Wagen auch einheimischer Fertigung sein konnten. Angefangen mit der zweiten Hälfte des 10. Jh. treten in Ostlettland Begräbnisstätten von Kaufleuten auf, in denen als Zugabe Geldwagen und Gewichte angetroffen werden.

Die Funde von im Arbeitsprozess nutzbaren importierten Gegenständen sind in Lettland nicht zahlreich, da Arbeitsgeräte fast ausschliesslich aus einheimischem Ausgangsmaterial (Eisen, Holz, Leder, Knochen u. a. m.) hergestellt wurden. Eine etwas grössere Gruppe (entdeckt wurde 101 Exemplar) bilden die Spinnwirteln aus rosafarbenem Schiefer (Abb. 5), die auf dem Wege des Flusses Dnjepr aus Owrutsch (Wolhynien) eingeführt worden sind (Abb. 7). Sie finden sich in den Kulturschichten des 11. bis 13. Jh. in den grösseren Burgbergen, sowie in den Gräbern wohlhabender Frauen der Latgallen, Liven und Selen dieser Zeit. Spinnwirteln und auch Perlen aus Schiefer werden vorwiegend in Objekten, die an den wichtigeren Handelswegen liegen, gefunden (Abb. 6).

Für einen Überblick über die Wirtschaftsbeziehungen und für die Bestimmung der Handelswege ist auch die Betrachtung von solchen Waffenfunden von Wichtigkeit, die sich in ihrer Form von den aus Lettland stammenden Erzeugnissen unterscheiden.

Auf dem Territorium Lettlands sind mehrere Hammeräxte und Doppeläxte gefunden worden, die mit dem 10.—11. Jh. zu datieren sind (Taf. V). Dies sind typische Streitäxte, die in den östlichen Teil Lettlands aus dem Wolgagebiet und aus den russischen Städten gelangt sind (Abb. 8). Jedoch sind einzelne Äxte, wie beispielweise die Līksnaer Doppelaxt (Taf. V: 2) u. a., ungeachtet fremder Einflüsse auf Formgebung und Ausschmückung, einheimischer Fertigung aus dem 11. Jh. In Ostlettland sind auch einige kurische Äxte (Taf. V: 6) gefunden worden.

In Lettland sind 22 eiserne Lanzenspitzen bekannt, deren Tüllen mit Silber- oder Goldplattierung geschmückt sind. Die Ornamentierung mehrerer dieser Lanzen zeugt von Beziehungen zwischen dem Baltikum und Skandinavien zu Anfang des 11. Jh. (Abb. 10—14). Die in der Ornamentierung einfacheren Lanzenspitzen scheinen am Ort im Gaujabecken angefertigt worden zu sein (Abb. 13, 14).

Die in den letzten Jahren am lettländischen archäologischen Material unternommenen metallographischen [124] Forschungen führten zur Entdeckung von 180 Lanzenspitzen aus damaszierten Stahl (Abb. 15). Der grösste Teil dieser Lanzenspitzen ist einheimischer Fertigung aus dem Kurenland — Kurzeme (hier gefertigte Lanzen sind ausser in Ostlettland auch in Estland und Litauen gefunden worden). Nur einige Dutzend Lanzenspitzen, die 0,1—0,2% Nickel enthalten und in der Nähe grösserer Handelswege festgestellt wurden, könnten skandinavischer Herkunft sein.

Ein Teil der sogenannten karolingischen zweischneidigen Schwerter, die nach Lettland im 9.—10. Jh. aus den fränkischen Landen eingeführt worden sind, trägt verschiedene Inschriften. Im ganzen sind infolge der Forschungen von A. Anteins in Lettland 53 Schwerter des 6.—14. Jh. mit Schneiden aus damaszierten Stahl oder mit verschiedenen Inschriften festgestellt. Im 11. Jh. beginnt die einheimische Fertigung zweischneidiger Schwerter, wobei auch Schwerter mit Inschriften fertiggestellt werden, besoders in Kurzeme und vielleicht auch im Bereich des Gaujabeckens. Die im von den Latgallen und Liven besiedelten Gebiet gefundenen zweischneidigen Schwerter aus dem 11.—13. Jh. sind aus dem Kurenland eingeführt. Kurische Parierstangen werden auch auf der Insel Saaremaa, auf dem estnischen Festland und auf Gotland angetroffen.

Die älteren (Beginn des 11. Jh.) Schwertortbänder — durchbrochene, mit Vogelmotiv u. a. — stammen aus Skandinavien. Gleich den Schwertern wurden auch Schwertortbänder seit dem 11. Jh. im Lande gefertigt. Besonders prächtige Schwertortbänder sind bei den Liven des Gaujabeckens zu vermerken (Abb. 16: 1; 17). Die ornamentalen Motive dieser livischen Schwertortbänder lassen auf enge Kulturbeziehungen schliessen, die sich auf dem Flusswege des Dnjeprs zwischen den Liven und den Bewohnern des Dnjepr-Gebietes abspielten. Aus Gotland (Abb. 18) sind nach Lettland die niedrigen Schwertortbänder mit einem Kreuzchen (Taf. VI: 4) gekommen. In den Objekten des 11.—12. Jh. im Gebiet der Liven und Latgallen wurden bronzene Schwertortbänder kurischer (Taf. VI: 13, 5; Abb. 44: 4) und semgallischer Herkunft gefunden. Kurische Schwertortbänder sind im allgemeinen auf einem ziemlich ausgedehnten Territorium ausserhalb des von Kuren besiedelten Gebietes gefunden worden (Abb. 20).

Aus dem 13. Jh. stammen 4 heile und in Bruchstücken vorhandene Bronzestreitkolben. Da ähnliche Streitkolben aus Bronze in grösserer Zahl in der Umgebung von Kijew gefunden worden sind, darf angenommen werden, dass die in Lettland gefundenen auf dem Dnjepr-Wege eingeführt sind.

Eine Analyse des Inventars der Gräber, in welchen fremdländische Waffen gefunden worden sind, zeigt, dass die letzteren der einheimischen wohlhabenden Oberschicht gehörten. Daher sind die Behauptungen der bourgeoisen Archäologen-Normannisten entschieden zurückzuweisen, laut denen Funde skandinavischer Waffen darauf hinweisen, dass das betreffende Gebiet den Wikingern untertänig gewesen sei. Die Topographie der eingeführten und aus anderen Gegenden Lettlands nach Ostlettland gelangten Waffen weist darauf hin, dass diese gerade in grösseren politisch-wirtschaftlichen Zentren der damaligen Zeit oder in deren Nähe anzutreffen sind.

Unter den eingeführten Schmucksachen bilden die aus dem Gebiet des Indischen Ozeans eingeführten Kaurimuscheln (Cypraea moneta; Abb. 21— 23) die zahlreichste Gruppe (7000 Stück in 155 Fundorten, Abb. 25). Im Material des 8. bis 10. Jh. sind Kaurimuscheln hauptsächlich im östlichen Teil des Territoriums der Latgallen, d. h. in der Gegend des Latgaler Hochlands, gefunden worden; ausserhalb dieses Gebietes ist die Zahl der Funde kleiner. Spätere, während des 12.—13. Jh. nach Lettland gelangte, Kaurimuscheln sind gleichmässig über das ganze Territorium verteilt und treten fast in jedem latgallischen Frauengrab vor. Als dem Einfuhrweg der Kaurimuscheln (Abb. 26) aus dem Gebiet des Indischen Ozeans durch den Nahen Osten kommt augenscheinlich der Wolga die grösste Bedeutung zu.

In Lettland sind mehr als 1000 Bernsteinfunde des 10.—13. Jh. aus etwa 80 Orten bekannt. Unter den aus Bernstein angefertigten Gegenständen herrschen Perlen verschiedener Grosse und Form vor, die mit dem 11.—12. Jh. datiert werden (Taf. VII). Auch die Anhängerkreuzehen aus Bernstein sind verschiedener Form (Taf. VII: 26—29). Die zierlichen Bernsteinäxte (Taf. VII: 1521) erinnern stark an die Breitäxte, die im 11.—13. Jh. im Gebiet der Kuren, Liven und Semgallen Anwendung fanden. Die grösste Mannigfaltigkeit weisen die Bernsteinanhängsel aus dem 10.—13. Jh. auf, die ziemlich grob bearbeitet sind (Taf. VII: 10—14, 22—25).

Die Bernsteinfunde aus Siedlungen (mit Übergewicht unbearbeiteten Bernsteins) und Gräberfeldern (für jede Völkerschaft charakteristische Erzeugnisse) beweisen, dass der Bernstein nach Ostlettland in unbearbeiteter Form eingeführt wurde. Der Bernstein, der sich in nördlicher und nordöstlicher Richtung verbreitete, ist hierher augenscheinlich aus Sämland, sowie von der Küste Kurzemes gekommen. Davon zeugen sowohl archäologische Ausgrabungen (Bernsteinfunde in Nowgorod, Pleskau, Ladoga) als auch sprachwissenschaftliche Hinweise, da die Bezeichnung «ентарь» in den nordrussischen Dialekten aus den baltischen Sprachen übernommen wurde. Die Topographie der Bernsteinfunde aus dem 10.—13. Jh., sowie der «Bernsteinlieder» aus späterer Zeit und der mit dem Wort «Bernstein» (dzintars) verbundenen Ortsnamen, lässt den Schluss zu, dass der Bernstein auch in den örtlichen Handelsbeziehungen eine bedeutende Rolle spielte. In das Gebiet der Liven und Latgallen gelangte der Bernstein auf mehreren die Territorien der Kuren, Litauer und Semgallen kreuzenden Wegen (Abb. 27). Weiter in die Lande der Ostslawen wurde der Bernstein entweder auf dem Wege der Daugava oder auf dem Riga-Pleskauer Weg ausgeführt.

Was die Kultusgegenstände anlangt, so stehen zahlenmässig an erster Stellen die Anhängerkreuzchen aus Bronze. Als die bedeutendsten können die emaillierten Kreuzchen (72 Exemplare) erwähnt werden, die mit dem 12.—13. Jh. datiert werden. Die bedeutende Anzahl (55 Stück) emaillierter [125] Kreuzchen mit geraden abgerundeten Enden (Taf. VIII: 1, 2) in Lettland lässt denken, dass ein Teil derselben einheimischer Fertigung ist. Das bezieht sich insbesondere auf die Kreuzchen mit runden Enden (10 Stück), die fast ausschliesslich im Gebiet der Semgallen anzutreffen sind, wo auch ein unbeendetes Exemplar dieses Typs gefunden worden ist (Taf. VIII: 3). Ausserhalb Lettlands sind gleichartige Kreuzchen nur aus den Wladimirschen Hügelgräbern und aus der Umgegend Kijews bekannt. Auch emaillierte Kreuzchen mit geraden Enden (Taf. X: 3; Abb. 23) sind ausserhalb Lettlands selten anzutreffen. Eine genaue Betrachtung der emaillierten Kreuzchen aus Lettland, die einheimischer Fabrikation sind, lässt annehmen, dass ein Teil derselben nach den Mustern von Werkstätten des Dnjepr-Gebiets hergestellt ist. Es muss bemerkt werden, dass die in Lettland gefundenen Kreuzchen sich durch grössere Ausmasse hervorheben. In Lettland sind auch einige den. ostslawischen Kreuzchen mit Palmetten vollkommen gleichartige Exemplare (Taf. VIII: 5), nur ohne Email, bekannt. Die Kreuzchen dieses Typs weisen gleichfalls darauf hin, dass Beziehungen auf dem Wege des Dnjeprs bestanden. Die ostslawischen Kreuzchen mit Palmetten haben in Lettland einheimische vereinfachte Nachahmungen angeregt, deren Resultat die durchbrochenen Kreuzchen mit abgerundeten (Taf. VIII: 1116) und rechtwinkligen (Taf. VIII: 1213) Enden waren, zu denen ausserhalb Lettlands keine Ebenbilder bekannt sind. Die durchbrochenen Kreuzchen mit abgerundeten Enden aus dem 13. Jh. (Taf. VIII: 14, 15) können bestenfalls auf die Beziehungen in nördlicher Richtung mit den Landen der Esten und Woten hindeuten, wo einige den lettischen Exemplaren ähnliche Kreuzchen gefunden worden sind.

Die zahlreichste Gruppe (121 Exemplare) bilden die Kreuzchen mit verdickten profilierten Enden. Darunter sind Kreuzchen (11.—13. Jh.) mit Bildnissen von Heiligen (Taf. VIII: 10), die im Material der Latgallen, Liven und Semgallen an den grösseren Verkehrswegen angetroffen und wohl aus russischen Städten eingeführt worden sind. Am öftesten sind allerdings die Kreuzchen mit verdickten profilierten Enden glatt (Taf. VIII: 8). Die Verbreitung dieser Kreuzchen in grösserer Entfernung von den wichtigen Verkehrswegen und gewisse Unterschiede zwischen denselben und den in den Nachbarländern gefundenen Stücken lassen darauf schliessen, dass mindestens ein Teil solcher Kreuzchen nach Vorbildern aus russischen Städten im Lande verfertigt ist.

In mehreren Varianten sind die Kreuzchen mit drei flachen Buckeln an den verbreiterten Enden (Taf. IX: 14) vertreten, die dem 12.—13. Jh. entstammen. Ausserhalb Lettlands kommen dieselben in ostslawischem Material und Skandinavien (aus Silber) vor. In Anbetracht der Fundorte dieser Kreuzchen in Lettland sowie des Umstandes, dass die chronologisch frühesten Kreuzchen solcher Art im nordwestlichen Teil des Territoriums des Alten Rus anzutreffen sind, ist anzunehmen, dass dieselben aus den Pleskauer-Nowgoroder Landen eingeführt wurden.

Auch die Kreuzchen mit Wiederkreuzenden kommen in mehreren Varianten vor. Kreuzchen mit Filigranimitation, in denen die Körnchen (Granula) so angeordnet sind, dass die grösseren in der Mitte und an den Enden des Kreuzchens eine wiederkreuzähnliche Verdickung bilden (Taf. IX: 7), sind auf dem Territorium der Latgallen, Semgallen und Kuren anzutreffen. Genau analoge Ebenbilder dieser Kreuzchen kommen im russischen Material des Dnjepr-Gebietes vor, wo auch Gussformen zum Giessen der Kreuzchen bekannt sind. In grösster Zahl (20 Exemplare) wurden in Lettland solche Wiederkreuzchen gefunden, die mit einem Ornament aus kleinen Kreisen verziert sind (Taf. IX: 8). Dieser Kreuzchen-Typ, der zum 12.—13. Jh. gehört, könnte einheimischen Ursprungs und aus Lettland infolge Kulturbeziehungen in die Nachbarländer — nach Litauen, Estland und in die russischen Lande — gelangt sein, wofür die grosse Ähnlichkeit der Ausmasse dort und in Lettland gefundener Kreuzchen spricht.

Die Funde der Anhängerkreuzehen im Gebiet der Latgallen und Liven bestätigen die Mitteilungen schriftlicher Quellen über die Verbreitung des Christentums in Lettland vor dem Einfall der deutschen Kreuzfahrer. Die neue Ideologie fasste zuerst in den Kreisen der wohlhabenden Oberschicht Wurzeln, worauf das Vorkommen der frühesten Kreuzchen in Burgbergen und Grabstätten der Reichen hinweist. Aus der Topographie der Fundstätten der Kreuzchen (Abb. 29) kann gefolgert werden, dass für die Verbreitung des Christentums (griechisch-katolischen Glaubens) in den Landen der Liven, Latgallen und Selen im 11. Jh. von sehr grosser Bedeutung der Daugava-Weg war; an diesem Wege waren auch die in den schriftlichen Quellen erwähnten Zentren der rechtgläubigen Religion (Jersika, Koknese) befindlich. In weiterer Verfolgung dieses Weges erreichte die Strömung des Christentums dann das Gebiet der Semgallen und Kuren.

In Lettland sind etwa 6000 Glasperlen aus dem 10.—13. Jh. gefunden worden. Fast alle spätestens im 11. Jh. hergestellte Perlen (ringförmige: Taf. XI: 423; zitronenförmige: Taf. XI : 1; bitrapezale: Taf. XI: 11; inkrustierte: Taf. XI: 56—60) sind aus Na-Ca-Glas gemacht, welches in seiner Zusammensetzung dem nahöstlichen und byzantinischen Glas gleicht. Es besteht aller Grund zur Annahme, dass ein Teil dieser Glasperlen zu derselben Zeit nach Lettland gelangte wie die arabischen Dirhems und Äxte östlicher Herkunft, denn einige Type solcher Perlen sind zusammen mit den Dirhems und Äxten gefunden worden. Seit dem 12. Jh. erscheinen in Lettland statt der Perlen aus Na-Ca-Glas fast nur Perlen aus K-Pb-Glas (Taf. XI: 3035374153) und aus nichtalkalischem Pb-Glas (Taf. XI: 1517182133384755), die bereits im 11. Jh. sporadisch auftreten. Aus eingehenden Untersuchungen des Perlenmaterials in Lettland folgert J. Schtschapowa, dass die hier vorkommenden Perlen aus K-Pb-Glas und nichtalkalischem Pb-Glas den Glasperlen aus dem Alten Rus nicht nur in der Zusammensetzung des Glases, sondern auch in der Technik der Herstellung und in ihrer Form ähnlich sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Perlen aus russischen Städten eingeführt worden sind. Während Perlen aus Na-Ca-Glas nur in der Nähe der grösseren damaligen [126] Handelswege anzutreffen sind, finden sich Perlen aus K-Pb-Glas und nichtalkalischem Pb-Glas ziemlich regelmässig im ganzen östlichen Teil Lettlands verteilt, ausserdem sind sie an den wichtigsten Wegen auch auf dem Territorium der Kuren und Semgallen anzutreffen. Die Zahl der Funde von K-Ca-Glasperlen (Taf. XI: 8) in Lettland ist gering; sie stammen aus dem 13. Jh. und scheinen aus Westeuropa eingeführt worden zu sein.

Aus russischen Städten sind in das Gebiet der Liven und Latgallen auch Armringe aus Glas eingeführt worden (Taf. XII: 36, 37; XIII: 4—10).

Um die Richtung wirtschaftlicher Beziehungen präziser zu erforschen, ist es von Wichtigkeit, nicht nur grössere Gruppen archäologischen und numismatischen Materials zu untersuchen, sondern auch solche Einfuhrwaren zu erwähnen, die, obwohl bisher nur in beschränkter Menge gefunden, von wesentlicher Bedeutung für die Bestimmung der Richtungen der wirtschaftlichen Beziehungen sind.

Von den Beziehungen Ostlettlands im 9.—10. Jh. mit den arabischen Ländern, Byzanz und den südosteuropäischen Gebieten zeugen die aus diesen Ländern eingeführten Amphoren (Abb. 33), Gewebe (Taf. XIV), Brokatbänder (Taf. XV), Bronzeschnallen (Taf. XXX: 20), Beschläge (Taf. XVI: 1216), ein silberner Armring (Taf. XXIV: 5), geflochtene Ketten (Taf. XVII) und die bereits erwähnten Glasperlen, Kaurimuscheln u. a. Diese Gegenstände gelangten nach Lettland hauptsächlich mit Vermittlung russischer Kaufleute.

Als Belege für die Beziehungen mit den Skandinaviern seit dem 9. Jh. dienen ausser den Waffen auch Schmucksachen, wie Schildkrötenfibeln (Taf. XVIII, XXII), die in einer Anzahl von 26 Stück in den Grabstätten der Daugava-Liven und der Kuren zusammen mit Erzeugnissen der einheimischen Völkerschaften gefunden worden sind. Mehrere dieser Fibeln (Taf. XX: 4; XXI: 2, 3; XXII: 12), die mit dem 11. Jh. datiert werden, sind wahrscheinlich einheimische Nachbildungen. Als Einfuhr aus Gotland sind Hufeisenfibeln (Taf. XXIII: 1, 2, 4), ein silberner Spiralarmring (Taf. XXIV: 6), Bronzeschnallen und Riemenverteiler (Taf. XXX: 20; XVI: 101820) anzusehen. Von einzelnen Funden sind noch ein keulenähnliches Kalksteingerät mit Runeninschrift (Taf. XXIX: 10) u. a. zu erwähnen. Anderseits ist in Gotland und Schweden aus dem Ostbaltikum eingeführter Schmuck wie Halsringe, Armringe, Fibeln und Schmucknadeln gefunden worden. Etwa 75 v. H. dieser Funde sind in Gotland lokalisiert, mit dem entwickelte Beziehungen im 11.—12. Jh. bestanden, während im 9.—10. Jh. Beziehungen grösstenteils mit dem schwedischen Festland unterhalten wurden.

Aus den westlichen Ländern kamen beginnend mit dem 11. Jh. grössere Mengen Silber nach Lettland. Ausser den bereits erwähnten Schwertern und Glasperlen stammen von dort auch bronzene Schalen (Taf. XXVII), deren Herkunftsorte im rheinisch-westfälischen Gebiet und im Elbebecken zu suchen sind. Als Vermittler in den Verbindungen des Ostbaltikums mit den westlichen Ländern sind ausser den Skandinaviern auch die westslawischen Kaufleute zu nennen. Mit der Mitte des 12. Jh. begannen die deutschen Kaufleute, die zur genannten Zeit die Daugava-Mündung erreicht hatten, eine aktivere Rolle zu spielen. Wie aus schriftlichen Quellen und archäologischem Material hervorgeht, spielten im Handel mit dem Westen auch die einheimischen Kaufleute — Kuren, Liven u. a. — eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Seit dem Ende des 10. Jh. können auch aktivere Beziehungen mit Finnland (Taf. XXI: 4; XXIX: 11) konstatiert werden, die sich vermutlich auf dem Seewege abspielten.

In den Beziehungen mit den russischen Landen sind im 11.—13. Jh. mehrere wichtige Richtungen hervorzuheben. Von den Beziehungen mit dem Dnjepr-Gebiet, die auf dem Dnjepr-Daugava-Wege unterhalten wurden, zeugen ausser Glasperlen, Schieferspinnwirteln und einzelnen Waffen auch noch die sogenannten Eigentums- oder Sippenmarken Jaroslaws des Weisen (Abb. 34), die auch im Lande nachgeahmt wurden (Abb. 34: 4, 5), Bronzeplakette mit bärtigem Mann und Reiterfigürchen aus Bronze (Taf. XXIX: 56), Bronzeschnallen (Taf. XVI: 1719; XXX: 22; XXXI: 19). Lebhafte Beziehungen bestanden auch mit den Bewohnern der Länder am Oberlauf des Dnjepr (Taf. IX: 15—17; XXIV: 911—14; XXV: 3410; XXVI: 1; XXIX: 1; XXX: 18; XXXI: 1; Abb. 38: 3; 39; 44: 8; 45: 34), insbesondere mit den Ostnachbarn Kriwitschen und auch mit den Radimitschen (Taf. XXXII: 1—4). Einige Altertümer sprechen von den Beziehungen mit den Wjatitschen (Taf. XXIV: 4; XXXI: 11—13; Abb. 37). Zur Bestätigung der Verbindungen mit den nordwestlichen und nordöstlichen Gebieten des Alten Rus, die von verschiedenen slawischen und finno-ugrischen Völkerschaften besiedelt waren, sind Schläfenringe (Abb. 40), Fibeln (Abb. 45: 1), Bronzearmringe (Taf. XXIV: 10), Kettengehänge (Taf. XXVI: 10, 12), Anhängsel (Taf. XXVI: 8, 9, 11; XXIX: 8; XXXI: 9, 10), Feuereisen (Taf. XXIX: 9) u. a. zu nennen.

Nach den Funden vieler Altertümer, besonders zahlreicher Schmuckgegenstände zu urteilen, setzten sich die Verbindungen in östlicher und nordöstlicher Richtung noch durch das ganze 13. Jh. hindurch und möglicherweise dauerten sogar im 14. Jh. an, während die Verbindungen mit dem Dnjepr-Gebiet bereits in der Mitte des 13. Jh. abbrechen.

Aus dem archäologischen Material lassen sich gleichfalls die gegenseitigen Verbindungen der ostbaltischen Völkerschaften feststellen. Als aus den Landen der Esten eingeführt können die in Ostlettland gefundenen Hufeisenfibeln (Taf. XXIII: 5; XXVI: 5, 6), Schmucknadeln (Taf. XXIX: 14), aus den letzteren verfertigte Fibel (Abb. 41) und Anhängsel (Abb. 44: 6) betrachtet werden. Anderseits sind auf dem Territorium der Esten an zahlreichen Stellen latgallische, livische und semgallische Erzeugnisse zu finden. Das archäologische Material lässt schliessen, dass die Handelstätigkeit dieser Völkerschaften in nördlicher Richtung lebhafter war, als die entsprechende Aktivität der Esten in südlicher Richtung.

Die Beziehungen mit Litauen werden nicht nur durch Silberbarren, sondern auch durch mehrere [127] Schmucksachen (Taf. XXXI: 6) und andere Objekte belegt.

Unter den ostbaltischen Völkerschaften zeichneten sich durch ihre Handelsaktivität besonders die Kuren aus. Ausser den bereits genannten Funden von kurischen Waffen und Bernstein in Ostlettland können Armringe (Taf. XXV: 12; XXXI: 14), Fibeln (Taf. XXVIII: 7; XXX: 16; XXXI: 78), Halsringe (Taf. XXVIII: 4), Fingerringe (Taf. XXVIII: 1, 2; XXX: 15) erwähnt werden, die im östlichen Teil Lettlands gefunden worden sind. Seltener sind in Ostlettland semgallische Funde (Taf. XXVIII: 35; XXX: 14; XXXI: 4; Abb. 44: 3).

Die wirtschaftlichen Verbindungen Ostlettland im 10.13. Jh. waren also hauptsächlich in östlicher und westlicher Richtung orientiert. Die in der bourgeoisen Historiographie und in den emigrantischen Ausgaben verbreitete Ansicht, dass zu jener Zeit die westlichen Beziehungen besonders eng waren, entbehrt der Grundlage. Aus dem Westen gekommene Einfuhr ist in bedeutenderem Umfang nur im westlichen Teil Lettlands oder in Gegenden längs den unweit des Meeres gelegenen Wasserwegen anzutreffen, und auch dieses nur in den an Altertümern reicheren Komplexen aus dem 9. — Beginn des 11. Jh. Augenscheinlich gehörten die aus dem Westen gekommenen Erzeugnisse Leuten aus der wohlhabenderen Bevölkerungsschicht, während sie dem einfachen Volk im allgemeinen fremd blieben. Früher wurde nicht selten der Rolle der Wikinger als Handelsvermittler eine übertriebene Bedeutung beigelegt. Wie aus dem archäologischen Material ersichtlich ist, rückten seit der zweiten Hälfte des 10. Jh. die einheimischen Kaufleute im Handel vor und begannen nicht nur eine wichtige Rolle im örtlichen Tauschhandel zu spielen, sondern unternahmen auch weite Handelsfahrten in fremde Länder, wovon die dort gefundenen Waffen und Schmuckgegenstände Zeugnis ablegen.

Aus dem Osten eingeführte Gegenstände (arabische Dirhems, Glasperlen, Kaurimuscheln) sind bereits in Ostlettlands schon seit dem 9. Jh. im Übergewicht, sowohl zahlenmässig als auch ihrer Verbreitung nach. Im 11.—12. Jh. gelangen zahlreiche Erzeugnisse aus den russischen Städten ins Land; sie sind nicht nur im ganzen Gebiet der Liven, Latgallen und Selen verbreitet, sondern längs den grösseren Wegen auch weiter westwärts — in Landschaften der Kuren und Semgallen. Wenn aus dem Westen ausser den Einfuhrwaren auch einige Formen der Waffen und Schmucksachen entlehnt sind, so übten ihrerseits die Beziehungen mit den russischen Landen einen deutlichen Einfluss auch auf die soziale Ordnung Ostlettlands und die Ideologie aus. Dies ist in grossem Mass dadurch zu erklären, dass die Erzeugnisse der Ostslawen und die durch die letzteren vermittelte Einfuhr auch in der Masse des einfachen Volkes einen empfänglichen Boden fanden und Wurzel fassten.

Die Beziehungen in südlicher und nördlicher Richtung waren zu jener Zeit von geringerer Bedeutung.

Gestützt auf das Material, das eine Betrachtung der wichtigsten Verkehrsrichtungen bietet, ist vom Verfasser der Versuch unternommen worden, die ehemaligen Wege in der Natur zu lokalisieren, ausgehend von den grösseren Flussbecken des in Betracht gezogenen Territoriums. Die Hauptarterie des Daugavabeckens bildete der Wasserweg des Flusses und der längs demselben verlaufende Landweg. Der Wasserweg der Daugava wurde für Schiffahrtszwecke von der Mündung bis zu den grösseren Zentren des Polozker Fürstentums hinauf ausgenutzt. Längs dem rechten Ufer der Daugava erstreckte sich der Landweg, der sowohl im Sommer als auch im Winter benutzt wurde. Durch diese Strasse waren die längs dem Lauf des Flusses gelegenen bedeutendsten Zentren der Liven, Latgallen und Selen miteinander verbunden. Die aus dem Westen kommenden Schiffe konnten durch die Ostsee ohne Schwierigkeiten die Daugava-Mündung erreichen und dann auch flussaufwärts im Niederlauf der Daugava segeln.

Die Bedeutung des Daugava-Weges wurde auch durch die den Lauf des Flusses kreuzenden Wege gehoben. Im Gebiet des Unterlaufs der Daugava kreuzte sie die Strasse aus Kurzeme und der Wasser- und Landweg der Lielupe, der die wichtigste Verbindung mit Zemgale bildete. Im Abschnitt Salaspils—Ikšķile kreuzte die Daugava eine zweite nach Zemgale führende Strasse, die in Litauen anfing und die dann weiter eines der grössten Zentren der Semgallen—Mežotne — streifte. Auf dem rechten Ufer der Daugava lief diese Strasse dann über Ropazi nach Turaida.

Am linken Ufer der Daugava sind gleichfall aus Litauen kommende Wege zu vermerken, von denen der wichtigste längs einer auf den Augszemer Höhen gelegenen Reihe von Burgbergen entlang führte, um sich dann zu verzweigen und die Daugava entweder bei Sēlpils—Oliņkalns oder bei Koknese zu überschreiten.

Am rechten Ufer des Flusses kann von den Abzweigungen des Daugava-Weges der Koknese-Ērgļi-Cēsis-Weg erwähnt werden, der den im Land der Latgallen beliegenen Burgbergen entlang führte. Aus Koknese und Selpils durch das Land der Latgallen führte noch eine wichtige Strasse in Richtung Pleskau. Das Material des 10.—13. Jh. zeigt, das der über das Latgaler Hochland führende Landweg bestimmt durch Ludza ging.

Im Gaujabecken sind mehrere wichtige Strassen zu erwähnen. An erster Stelle steht der Wasser- und Landweg der Gauja. Die Ausnutzung der Gauja als Schiffahrtsweg kann nur bis Turaida mit Sicherheit bewiesen werden. Eine viel grössere Bedeutung kam der Landstrasse längs der Gauja zu, welche, die Gebiete der Liven, Latgallen, Esten und Woten durchquerend, Pleskau und Nowgorod erreichte. Diese Strasse, die die Bezeichnung Riga-Pleskau-Weg verdient, hatte mehrere Varianten.

Ebenso wie die Daugava kreuzten auch die Gauja mehrere Strassen. Längs der Ostküste des Rigaschen Meerbusens verlief ein Landweg.

Zusammenfassend sei unterstrichen, dass während der Periode des frühen Feudalismus sich auf dem Territorium der Liven und Latgallen ein beständiges Netz von Landwegen entwickelt hatte. Auch die Ostsee und die grösseren Flusswege wurden aktiv ausgenutzt. Ihrer Bedeutung nach können die Wasser- und Landwege in Transitwege und örtliche [128] Verkehrswege eingeteilt werden. Während die örtlichen Verkehrsstrassen hauptsächlich von den Bewohnern der betreffenden Gegend benutzt wurden, dienten die Transitwege auch den Transportbedürfnissen der benachbarten Gebiete, da diese Wege die örtlichen Verwaltungszentren mit den bedeutendsten wirtschaftlichen und politischen Zentren anderer Völker verbanden. Die Übersicht über die wirtschaftlichen Verbindungen und Verkehrswege der Latgallen und Liven im 10.—13. Jh. erleichert die Erforschung einer wichtigen Etappe in der Geschichte der wirtschaftlichen Beziehungen im Massstabe nicht nur Lettlands, sondern sogar des ganzen Ostbaltikums.

Die geographische Lage des von den Liven und Latgallen bewohnten Gebietes, welches die Transitwege der Daugava, der Gauja und die aus dem Süden kommenden wichtigen Wege kreuzten, forderte im frühen Mittelalter die Einfügung der Latgallen, Selen und Liven in den aktiven Handel mit sämtlichen benachbarten Völkern. Die Wege waren nicht nur Arterien, durch die fremdländische Erzeugnisse ins Land strömten; infolge gegenseitiger Verbindungen bereicherte die Bevölkerung Ostlettlands unablässig ihre materielle und geistige Kultur, wobei zur selben Zeit auch andere aus dieser Schatzkammer reichlich versehen wurden. Dauernde Fühlungen, die hauptsächlich mit Hilfe der grösseren Handelswege zustande kamen, stellten einen der Faktoren dar, die zur allmählichen Annäherung der materiellen Kultur der Völkerschaften Ostlettlands und im ganzen der Bevölkerung der Wälderzone Osteuropas beitrugen. Anderseits wurde die Entwicklung der einheimischen materiellen Kultur durch den Abbruch der traditionellen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen seit dem 13. Jh. stark beeinflusst, als die Invasion der deutschen Feudalherren und Kreuzfahrer die normale Entwicklung der Gesellschaft unterbrach und das ganze Territorium Lettlands samt den Handelswegen in die Hände der deutschen Feudalherren geriet.

Für das 9., 10. und die erste Hälfte des 11. Jh. sind, von örtlichen Verbindungen abgesehen, die die ganze Zeit stattfanden, ferne Handelsverbindungen charakteristisch. Durch Vermittlung mehrerer Völker (der Ostslawen, Chazaren, Bulgaren, Skandinavier) erreichte dann das Ostbaltikum die arabische und byzantinische Ausfuhr (Dirhems, Glasperlen, Kaurimuscheln, Brokat usw.). Aus dem Westen gelangten ins Ostbaltikum fränkische und skandinavische Schwerter, Schwertortbänder, Schildkrötenfibeln und andere Erzeugnisse. Die Rolle der einheimischen Bevölkerung in diesen Verbindungen mit fernen Ländern war im ganzen unbedeutend.

In der zweiten Hälfte des 10. Jh. und besonders gegen dessen Ende sind die Erzeugnisse der ostbaltischen Völkerschaften, besonders solche der Kuren und Semgallen, in grösserer Zahl im Dnjepr-Gebiet, der Umgegend Nowgorods, in der Ladoga-Gegend, Finnland, Gotland, Schweden und den westslawischen Ländern anzutreffen. Das kann keineswegs als zufällig angesehen werden. Wie das entsprechende archäologische Material beweist, gehen dann im Leben der Bewohner des alten Lettlands grosse Veränderungen vor. Zahlreiche Burgberge werden mit starken Schutzwällen umgeben, am Fuss der Burgberge entstehen stadtähnliche Siedlungen — Hakelwerke. Auch die Forschungen der Grabstätten lassen gleichfalls folgern, dass zu jener Zeit eine schnelle materielle Differenzierung eintritt. Die in den Hakelwerken an den Burgbergen lebenden Handwerker erzeugen ihre Artikel nicht nur für die Bedürfnisse der Gemeinde, sondern auch für den Markt. Mit dem Tauschvertrieb der Erzeugnisse befassten sich wohlhabendere Leute und möglicherweise sogar besondere Kaufleute. Es darf angenommen werden, dass ab jener Zeit die ostbaltischen Kaufleute auch selbst regelmässiger weitere Fahrten unternahmen. Durch die Entwicklung des Handels mit den Nachbarländern und seine Ausweitung wurde das Entstehen der neuen wirtschaftlichen Gesellschaftsordnung, des Feudalismus, beschleunigt. All das bestätigt die Folgerung, dass die Entwicklung der der frühfeudalen Periode eigenen sozialen Verhältnisse zum Abschluss gelangt war.

Zu dieser Zeit, im Hinblick auf die regen Beziehungen Ostlettlands mit dem Dnjepr-Gebiet, übte das Kijewer Russland mit seiner bereits abgeschlossenen feudalen Staatsordnung einen bedeutenden Einfluss auf die Gesellschaftsordnung der Völkerschaften Ostlettlands, vor allem der Latgallen, aus.

Im Zusammenhang mit den Veränderungen in der internationalen Lage in Südosteuropa geraten mit der Mitte des 11. Jh. die fernen Handelsverbindungen in Stillstand. Die Einfuhr arabischer Dirhems, im Osten hergestellter Glasperlen und anderer Erzeugnisse ins Ostbaltikum hört auf. Nur Kaurimuscheln gelangen noch ins Land. Zur selben Zeit entwickeln sich stärker die Beziehungen mit dem Dnjepr- und dem Wolgagebiet, der Umgegend von Smolensk und Nowgorod. Lebhafte Beziehungen mit Gotland sind zu beobachten, durch dessen Vermittlung ein Teil der westeuropäischen Münzen den Weg ins Ostbaltikum findet.

Seit der zweiten Hälfte des 11. Jh. strömt in grösseren Mengen die in den russischen Fürstentümern hergestellte Produktion — Glasperlen, Kreuzchen und verschiedene Schmucksachen — ins Ostbaltikum. Die bedeutendste Konzentration der Erzeugnisse der russischen Städte im Ostbaltikum ist im Gebiet der Latgallen und Liven zu verzeichnen. Auch in diesem Fall handelt es sich nicht um einen Zufall. Es scheint, dass gerade dann die Tributherrschaft der russischen Fürsten im Ostbaltikum beginnt. Auch die schriftlichen Quellen, die in dieser Zeit wiederholte Kriegszüge der russischen Fürsten ins Ostbaltikum erwähnen, wiedersprechen dieser Annahme nicht.

In der zweiten Hälfte des 11. Jh. ist deutlich zu bemerken, dass eine grosse Zahl der aus dem Westen und Osten eingeführten Gegenstände zu Nachahmungsobjekten einheimischer Produktion werden. Zwar ist es oft nicht leicht, diese Erzeugnisse von den ursprünglichen Vorbildern zu unterscheiden, weswegen frühere Forscher dieselben als Einfuhrgegenstände betrachteten; heute jedoch scheint es gelungen zu sein nachzuweisen, dass nicht nur Schwerter, Schwertortbänder, Lanzen u. dgl. m., sondern auch ein Teil der Kreuzchen, sternförmige Fibeln, die sogenannten Sippenmarken Jaroslaws des [129] Weisen und andere Objekte an Ort und Stelle angefertigt worden sind.

Das in diesem Werk behandelte und analysierte archäologische Material ermöglicht es, viele Thesen, die in der bourgeoisen Historiographie Wurzel ge-iasst haben, zu revidieren. In erster Linie betrifft das die Einschätzung der wirtschaftlichen Beziehungen in verschiedenen Richtungen. Die Analyse des vorhandenen umfangreichen archäologischen Materials, besonders des während des Bestehens der Sowjetmacht gewonnenen, legt von der Tatsache Zeugnis ab, dass nicht die Bevölkerung Ostlettlands durch Reihen von Burgbergen von den umgebenden Völkern getrennt wurde, wie dies die lettischen bourgeoisen Historiker behaupteten, sondern dass, im Gegenteil, ein weit verzweigtes Strassennetz beständige und nutzbringende Verbindungen mit allen Nachbarländern gewährleistete. Konkretes Material zeigt, dass die östlichen Verbindungen eine unvergleichlich grössere Bedeutung für Ostlettland hatten als die in entgegengesetzter Richtung.

Eine Bewertung des eingeführten Materials zeigt, dass diese Einfuhr ins Ostbaltikum infolge von Handels- und Kulturbeziehungen gelangt ist, und es gibt keine Beweise für das Bestehen fremdländischer Kolonien in Ostlettland im frühen Mittelalter. Das Importmaterial, das sich vorwiegend in der Nähe der wichtigsten Handelswege gruppiert, weist auf die Rolle dieser Wege für den Eintritt der Einfuhrwaren hin. Anderseits erlaubt die Analyse der Verteilung der Fundorte dieses Materials unter Zuhilfenahme der Angaben schriftlicher Quellen, kartographischer Daten und in Beachtung der Lage archäologischer Denkmäler die wichtigsten Richtungen der Wege zu konkretisieren. Der grösste Teil der betrachteten Wege zeichnen sich als Richtungen von Verkehrsund Tauschhandelsbeziehungen bereits lange vor der hier behandelten Epoche ab, doch werden sie erst im 10.—12. Jh. zu Handelswegen im wahren Sinne des Wortes. An den Handelsstrassen entstehen die Handelszentren. Sowohl die einen als die anderen fallen in den Grundzügen mit den späteren, in den Schriftquellen des 13. Jh. erwähnten Strassen und grösseren politisch-wirtschaftlichen Zentren zusammen. Obgleich auf den Transitwegen oft fremdländische Kaufleute das Land durchzogen oder fremde Kriegsheere ihre Einfälle ins Land unternahmen, waren die Wege stets unter der Kontrolle der einheimischen Völkerschaften, die sich zu jener Zeit zu staatlichen Gebilden zusammenschlössen.

Eine der wichtigsten Aufgaben, die die lettländi-schen Archäologen und Geschichtsforscher in Zukunft zu erfüllen haben, ist die Erforschung der wirtschaftlichen Verbindungen und Verkehrswege des westlichen Teils Lettlands. Die bisher durchgeführten Forschungen über die wichtigsten Richtungen der Wirtschaftsbeziehungen geben allen Grund zur Folgerung, dass zwischen den Handelsbeziehungen Ost- und Westlettlands im frühen Mittelalter beträchtliche Unterschiede bestanden. Die Verbindungen der Einwohner Ostlettlands erstreckten sich vorzugsweise in östlicher Richtung, während für die auswärtigen Beziehungen Westlettlands eine bedeutendere Rolle des Westens (Skandinaviens) charakteristisch ist. Welch eine Rolle spielten eigentlich die westlichen Beziehungen in den verschiedenen Jahrhunderten, wie beeinflussten sie das Wirtschaftsleben Westlettlands, — das alles zu ermitteln, ist die Aufgabe künftiger Forschungen. Gleichartige Forschungsarbeiten sollten auch in den Nachbarrepubliken durchgeführt werden — in Estland und Litauen sowie in den westlichen Gebieten der RSFSR, um eine klare Gesamtvorstellung von allen Wirtschaftsverbindungen und Verkehrswegen des Ostbaltikums in verschiedenen Zeitspannen zu bekommen. [130]

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